Das Werden des Wasserschaupfades
Text und Bilder: Dr. Wolfgang Retter
Jahrmillionen durften die Gletscherbäche der Hohen Tauern unbehelligt rauschen – bis vor mehr als neunzig Jahren der erste große Tauernbach abgeleitet und über Turbinen gezwungen wurde. Es war dies damals schon einer der schönsten: die Stubach („stäubende Ache“) im gleichnamigen Tal – für den Bahnstrom in Westösterreich. Weitere folgten, die Kraftwerksgruppe von Kaprun als Symbol des Aufbauwillens Österreichs nach dem zweiten Weltkrieg wurde zur Legende. Kaum jemand aber weiß, dass über die Turbinen der Tauernkraftwerke in Kaprun zwei Drittel des Wassers von der Südseite der Hohen Tauern läuft: Durch die Überleitung der Möll zu den Kapruner Kraftwerksanlagen fiel der direkte Abfluss aus Österreichs größtem Gletscher, der Pasterze, der E-Wirtschaft zum Opfer; damit war der größte Gletscherfluss auf der Südseite der Hohen Tauern verschwunden.
Auch der Isel – die nach der Möll-Überleitung als größter Gletscherabfluss auf der Tauernsüdseite verblieb - war ein wechselhaftes Schicksal zugedacht. Ein gigantisches Projekt der AEG Berlin wollte schon 1928 auch sie - zusammen mit allen anderen Wassern der Hohen Tauern - in etwa 2100 Meter Höhe erfassen und zur Speisung von Großkraftwerken im Kapruner Tal verwenden.
Im zweiten Weltkrieg hätte sie bis in einen Speicher bei Hinterbichl fließen, also im Virgental bleiben ,,dürfen''. In den Fünfzigerjahren sollte sie in einen Stauraum ins Innergschlöss übergeleitet werden.
Im Jahre 1966 kamen Kraftwerksplaner zum ersten Mal auf den Gedanken – 1973 konkreter durchgeplant -sie direkt in das fast 30 Kilometer weit entfernte Kalser Dorfertal zu schicken. Dort sollte der größte Speicher der Ostalpen über ein riesiges Stollensystem gefüllt werden, mit welchem mehr als zwanzig Bäche entwässert worden wären, darunter alle Gletscherbäche Osttirols. Der westlichste dieser Gletscherbäche wäre die Isel gewesen, die zwei Drittel ihrer Jahreswassermenge in den Kalser Speicher verloren hätte - dies in einem Gebiet, das Tirol in den Nationalpark Hohe Tauern einzubringen sich verpflichtet hatte.
Um wenigstens die obere Isel im Umbaltal als „Erinnerungsbach“ vom Zugriff der Kraftwerksplaner freizuhalten, hatte Wolfgang Retter, Obmann des Vereins zum Schutz der Erholungslandschaft Osttirol, die Idee „Wasserschaupfad Umbalfälle“: Den Besuchern den herausragenden Erlebniswert der Isel im Umbaltal besser zu präsentieren und ausgewählte Informationen zum Wasser allgemein und zur landschaftsgestaltenden Wirkung dieses jungen Gletscherflusses im Besonderen anzubieten.
Dieser Schaupfad wurde vom Verein mit einfachsten Mitteln gestaltet und als erster Wasserschaupfad Europas am 14. August 1976 von Ing. Hayo H. Hoekstra vom Generalsekretariat des Europarates und Vereinsobmann Wolfgang Retter eröffnet. Der Schaupfad fand sehr rasch großes Interesse weit über Osttirol hinaus und entwickelte sich zu einer Hauptattraktion des Virgentales. Der zugehörige gedruckte Führer war mit Zeichnungen und handschriftlichen Hinweisen von Prägrater Kindern geschmückt und gilt heute – schon lange vergriffen – als besondere Kostbarkeit.
Eine nachträgliche offizielle Bestätigung erfuhr die Errichtung des Wasserschaupfades im Umbaltal durch das Ökologische Gutachten, welches im Rahmen der Diskussion zum Großprojekt Dorfertal-Matrei 1978 erschien. Dessen Landschaftsbewertung, die auf äußerst sorgfältigen zweijährigen Untersuchungen aufbaute, kam zum Ergebnis, dass die Isel im Umbaltal den höchsten Gewässerwert des untersuchten Bereiches aufweist. Das Gutachten spricht davon, dass durch das Kraftwerksprojekt für das Naturerlebnis einmalige Landschaftswerte verloren gehen, dass weitgehend die Landschaft zum Nachteil der ansässigen Bevölkerung und deren Entwicklungsmöglichkeit verändert werde und dass durch die beabsichtigten Bachbeileitungen ,,das vergletscherte Hochgebirge des Großvenedigers und Großglockners in seinem Landschaftstyp entstellt wäre. Die Obere Isel wird als ,,Gletscherbach mit stärkster Ausprägung, mit dem höchsten Gewässerwert gemessen am Erlebnispotential, die in Osttirol einmalige Sehenswürdigkeit'' bezeichnet.
In der Nacht vom 17. auf den 18. Mai 1985 rauschte eine gewaltige Flutwelle durch das Umbaltal. Im rückwärtigen Talabschnitt hatte ein mächtiger Lawinenkegel das Iselbett verschüttet. Diese grub sich nicht - wie in all den Jahren zuvor - nach und nach durch den Schnee hindurch und floss allmählich ab, sondern durchbrach nach tagelangem Stau das Hindernis und toste als mächtiger Wasserschwall talauswärts. Er polierte das Gesteinsbett der Isel bis auf den gewachsenen Fels vollkommen aus, beschädigte die Weganlagen und ließ von der Hütte der Islitzeralm auf Pebell nur Reste zurück.
Die nachfolgenden Verbauungs- und Rekultivierungsmaßnahmen brachten eine gewisse Veränderung des Tales mit sich. Der teilweise zerstörte Wasserschaupfad wurde mit Mitteln des Katastrophen-Fonds und des Deutschen und des Oesterreichischen Alpenvereines im Jahre 1986 vom Fremdenverkehrsverband Prägraten neu angelegt. Seitdem stand das Erlebnis dieses schönsten Gletscherbaches auf der Südseite der Hohen Tauern wieder allen Besuchern offen.
Ein bereits im Jahre 1974 begonnenes Verfahren, in welchem die Iselkatarakte zum Naturdenkmal erklärt werden sollten, wurde allerdings auf politische Weisung eingestellt. Erst nach der offiziellen Absage des Großprojektes Dorfertal-Matrei und der Einrichtung des Nationalparks Hohe Tauern auch in Tirol durfte 1991 die Erklärung zum Naturdenkmal durchgeführt werden
Mit der gesetzlichen Einrichtung des Nationalparks Hohe Tauern in Tirol ab 1. Jänner 1992 fand der Wasserschaupfad jenen Rahmen, für den er schon fünfzehn Jahre früher gedacht war: eine Erlebnis- und Informationseinrichtung innerhalb dieses ersten und größten österreichischen Hochgebirgs-Nationalparks zu sein, dessen Landschaft ja von den Wesensmerkmalen Gletscher und Gletscherbächen geformt und belebt ist.
Die Nationalparkverwaltung nahm dann auch im Jahre 2006 eine Ergänzung des Schaupfades insofern vor, als in Zusammenarbeit mit dem Salzburger Haus der Natur zur Information der Besucher Pulttafeln erstellt wurden, wie sie sich schon an anderen Lehrwegen bewährt hatten.
Und nunmehr – ab Juli 2012 – wird sich der der Wasserschaupfad Umbalfälle als „NaturKraftWeg“ Umbalfälle in neu gestalteter Form dem Besucher darbieten: Ausgehend von der letzten Talweitung in Ströden als leichter Wanderweg bis zur Pebellalm, oberhalb welcher dann die im Sommer tosende Gischt der Gletscherwasser führenden Isel durch neue Aussichtsplattformen unmittelbar gespürt und am sanften Rückweg der Zauber eines Blocksturzwaldes erlebt werden kann.